Vorwort.
Ein Wort der Entschuldigung zum Beginne. Den Lesern des ersten Bandes war versprochen
worden, dass der Zweite zum November 1903 nachfolge. Aber es verging fast ein Jahr, es wurde zum
zweiten Male Herbst, bis der Band auch kam. Der Grund hierfür liegt zum Teil in persönlichen
Verhältnissen des Autors, teils in der Eigentümlichkeit einer biographischen Arbeit, teils in den Fülle
des langsam zuströmenden Materials. Die Leser, deren Drängen nach dem zweiten Bande — meine
verehrlichen Verleger teilten mir die Liste der Ungeduldigen mit — ein wenig zu Gunsten des Werkes
spricht, werden für die Säumnis einigermassen dadurch entschädigt, dass es mir möglich war, die
Litteratur in ausgedehnterem Masse zu benutzen und so ziemlich alles zu verarbeiten, was von guten
Musikschriftstellern bis zur zweiten Hälfte des Jahres 1904 veröffentlicht worden ist.
Dies genügt vielleicht Nachsichtigeren, mich loszusprechen, Gleich aber muss ich es benutzen,
um der Nachsicht für eine zweite Abweichung vom Versprochenen teilhaftig zu werden. Denn eben die
Überfülle des Materiales war nicht in einem Bande zu bewältigen, sie machte vielmehr einen dritten
notwendig, und dieser soll, in zwei Teilen erscheinend, dem zweiten schneller folgen als der zweite
dem ersten folgte.
Im vorliegenden Bande versuchte ich den Künstler Hugo Wolf von innen heraus zu erleuchten.
Es ist die Entstehungsgeschichte des Hauptteils seiner Lyrik erzählt und hierauf diese Lyrik selbst
gewürdigt. Der III. Band schliesst unmittelbar an und versucht den Künstler von aussen zu beleuchten.
Das heisst, es wird erzählt welche Schicksale sein Werk in der Welt erfuhr, nachdem es aus Schalks
Musikzimmer an die Öffentlichkeit gebracht worden war Zuerst wird entrollt: das Wiener Milieu. Wir
erleben die Kämpfe mit der Presse und anderen Gegnern, die Propaganda des Wiener Wagner-Vereins,
an dessen Spitze Jos. Schalk und mit ihm Ferdinand Jäger stand.
Wir begleiten Wolf auf seine Reisen nach Deutschland (München, Tübingen, Mannheim, Mainz
[1890, 189l], Berlin [1892 u. 1894] etc); die Verlagsgeschäfte mit B. Schotts Söhnen in Mainz werden
dargestellt, die Freunde Dr. E. Kauffmann, Dr. Oscar Grohe, dann Engelbert Humperdinck, Arnold
Mendelssohn, Franz von Lipperheide, Paul Müller, vor allen Hugo Faisst — um nur einige zu nennen
— treten in Wolfs Geschicke ein, die ersten Konzerterfolge, die Komposition des I. Bandes der
Italienischen Lieder, die tragische Zeit der stagnierenden Produktion, die nicht minder tragische Suche
nach einem Opernstoff, all das zieht in dem III. Bande vorüber. Hieran schliesst die Komposition des
Corregidor, eine kurze spezielle Besprechung der Italienischen Lieder, deren II. Band erst nach dem
Corregidor komponiert wurde und daher die Besprechung des Gesamtwerkes an dieser Stelle
rechtfertigt; dann folgen die letzten Werke, sowie die Michel-Angelo-Lieder, der Manuel Venegas,
schliesslich Ende und Ausklang.
Auf die mehr stille stehenden reflexiven Abschnitte des vorliegenden Bandes folgt also eine
bewegtere Partie. Möge dieser Rhythmus des Buches der Zustimmung des Lesers sicher sein!
***
Die „Methode" der Darstellung in dem vorliegenden Bande ist aus der Praxis gewonnen
worden. Ein Vortrag, den ich im April d.J. in Graz abhielt, bestätigte mir, dass meine alte Liebhaberei,
dieselben Texte, die Wolf vertont hat, neben die zu stellen, wie sie von anderen Meistern vertont
wurden, das Charakteristische der Wolfschen Kunst am leichtesten anschaulich macht. Dort waren es
drei Gesangskräfte, die Lieder von Wolf-Jensen, Wolf-Volkmann, Wolf-Schubert usw. vorführten, hier
sind es Notenbeispiele, die das Gleiche versuchen. Dabei konnte ich es, bis auf einen Fall, nicht über
mich bringen, Wolfs Lieder mit denen noch lebender Meister zu vergleichen — man denke an die
Mörike-Lieder von ... es sei lieber niemand genannt — denn ich wollte in der Darstellung jede
aggressive Färbung vermieden wissen. Ich will in diesem Buche mehr den Einzelnen anregen, sich mit
dem Wolfschen Liede auf seine Art zu beschäftigen, als erschöpfend darstellen und ein Dogma bilden
helfen. Somit möge sich jeder mit modernen Meistern alleine abfinden. Ich verkenne nicht, dass die
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Dr. Ernst Decsey
analytische Methode mancherlei gegen sich hat. Der musikalische Anatom ist, wie jeder andere, „ein
abtragender Bildhauer", um ein Wort Gottfried Kellers zu gebrauchen. Treibt man das Analysieren auf
die Spitze, so kommt leicht eine „Musikverstandsschwelgerei" heraus, gegen die sich Wagner mit
Recht gewendet hat. Es lässt sich aber der Organismus eines Kunstwerkes in seiner Fülle kaum
überschauen, wenn man die Funktionen der Details nicht kennt, die Fülle seiner Schönheit kaum
gemessen, wenn man die Schönheit der Details nicht fühlt; und die Frage nach dem Warum der
Wirkung ist bei einer Kunst, die ausdrücken will, die Inhalt hat, auch nicht unberechtigt. Und endlich:
„bin ich müde vom Studieren", so flüchte ich in die Welt des lebendigen Klanges, und gerade bei
einem Künstler von so intensivem Klanggefühl wie Hugo Wolf, einem Musiker, der gar nichts will, als
Gedichte aus sich herausklingen lassen — bei seinem Lied kommt über ein klangdurstiges Herz der
Ton wie ein milder goldener Tau.
Man kann ein Kunstwerk, wie schon der alte J. F. Daube wusste, eben nicht nur von einer Seite
aus betrachten, ja das Isolieren der Betrachtung, indem man bald diese, bald jene Seite aufsucht, erhöht
seine Reize, vertieft das Gefühlsverständnis. Möge man daher, nachdem man die Verzögerung und den
Nachtrag entschuldigt hat, auch die Methode des Buches in den Kauf nehmen.
Zu bedanken habe ich mich für die Förderung und Mithilfe bei Gustav Schur in Wien, der mir
ein 76 Quartseiten umfassendes Manuskript (Erinnerungen) in selbstlosester Weise zur Verfügung
stellte. Dank schuldig bin ich der Familie Heinrich Köchert in Wien für die Erlaubnis Wolfs OriginalManuskripte
einzusehen; ferner Rich. Hirsch und Ferdinand Löwe in Wien für Notizen und Durchsicht
eines Teiles des Manuskriptes, ebenso dem Tonkünstler Albert Ernst und Herrn Rudolf v. Larisch in
Wien. Tief verpflichtet bin ich Herrn Dr. Oscar Grohe in Mannheim für die Überlassung von 206
ungedruckten Briefen und Karten Wolfs, die meiner Ansicht nach die bedeutendsten Briefe sind, die
Wolf an Freunde geschrieben hat, soweit ich diese kenne. Die Briefe, zum grössten Teile an Grohe
selbst gerichtet — ein kleiner Teil ist an seine verstorbene Frau Jeanne, geb. Becker adressiert —
werden im Frühjahr 1905 im Drucke erscheinen; hier, wie im III. Bande, ist zumeist nur ihr
tatsächlicher Inhalt benutzt, ihr Reiz liegt aber wie bei allen Wolfschen Briefen nicht minder in der
Form. In ähnlicher Weise hat mich auch Herr Geheimrat Dr. Ludwig Strecker, Vertreter des
Verlagshauses Schott in Mainz, gefördert, indem er mir Einblick in seine umfangreiche Korrespondenz
mit Wolf gewährte, ohne mich dabei irgendwie zu beeinflussen. Engelbert Humperdinck stellte mir
Tagebuchnotizen und Briefe zur Verfügung, die sein Verhältnis zu Wolf, von dem im III. Bande die
Rede ist, klar und rein beleuchten. Universitätsprofessor Dr. Heinrich Rauchberg in Prag übergab mir
Notizen und Briefe; desgleichen viele andere Männer, die als Zeugen und Gewährsleute an den
betreffenden Stellen aufgeführt sind. Ihnen allen, sowie einigen schon im I. Bande genannten, drücke
ich für ihre bereitwillige Mitarbeit — oft war die eifrigste Korrespondenz notwendig — warm die
Hand. Endlich sei der Tonkünstler und Schriftsteller August Püringer, früher in Graz, jetzt in
Charlottenburg, genannt, ein erkennender Geist, mit dem ich mich in stundenlangen Gesprächen beriet,
Gespräche, die manches kluge Wort, manchen guten Wink für den Aufbau des Buches zu Tage
förderten. Endlich habe ich mich bei den Lesern zu bedanken, die den ersten Band in so freundlicher
Weise aufgenommen haben, dass ich meine Bitte um Entschuldigung noch einmal vorzubringen gewiss
verpflichtet bin.
GRAZ, im September 1904.
Der Verfasser.
INHALT
Vorwort.............................................................................................................................................................................................. I
I. Kapitel.. Neue Lieder, neues Leben................................................................................................................................................... 2
II. Kapitel. Wolfs Lyrik. ..................................................................................................................................................................... 32
ANHANG..................................................................................................................................................................................... 101
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